Die Menschheit lässt sich grob in Früh- und Spätaufsteher unterteilen. Zu welcher Gruppe du gehörst, bestimmt deine innere Uhr. Der Tagesrythmus der Gesellschaft ist dabei vor allem an die Frühaufsteher (sog. Lerchen) ausgerichtet, die Spätaufsteher (sog. Eulen) haben meist das nachsehen.
Der Tagesrythmus bestimmt dein Verhalten zu bestimmten Uhrzeiten, kann für neurologische Krankheiten verantwortlich sein und beeinflusst sogar wie alt du wirst. Aber wer oder was bestimmt den Chronotyp, kann man seinen Typ ändern und wie passt man sich dem allgemeinen Lebensrythmus an?
Definition: Chronotyp
Chronotyp (griechisch χρόνος für Zeit) beschreibt die Einteilung von Menschen, die zu bestimmten Uhrzeiten unterschiedliche Ausprägungen ihrer physischen Merkmale aufweisen. Diese Merkmale können sein:
Schlafphasen
Wachphasen
Hormonspiegel
Körpertemperatur
Leistungsvermögen
Die meisten Menschen gehören zum "leichten Frühtyp" und "Normaltyp", das heißt sie gehen gegen Mitternacht ins Bett und stehen gegen 8 Uhr morgens auf. Vorausgesetzt natürlich, dass sie sich nach ihrer inneren Uhr richten und nicht nach dem Wecker.
Einflussfaktoren
Der Chronotyp wird von verschiedenen Genen beeinflusst nach denen unsere innere Uhr tickt. Eine Vielzahl von Studien zeigen, dass unser Tag-Nacht-Rythmus und damit unser Chronotyp von unterschiedlichen Genomen bestimmt wird. [Lim, Andrew S.P. et al. “A Common Polymorphism near PER1 and the Timing of Human Behavioral Rhythms.” Annals of neurology 72.3 (2012): 324–334][An, Huaijie et al. “Chronotype and a PERIOD3 Variable Number Tandem Repeat Polymorphism in Han Chinese Pilots.” International Journal of Clinical and Experimental Medicine 7.10 (2014): 3770–3776]
Selbst die Gehirnaktivitäten unterscheiden sich bei den einzelnen Chronotypen. fMRT Untersuchungen (funktionelle Magnetresonanztomographie) zeigen unterschiedliche Gehirnaktivitäten bei Früh- und Spätaufstehern. Die Leistungen eines einzelnen sind deutlich höher, wenn er zur zu seinem Chronotyp passenden Zeit getestet wird.[May CP, Hasher L. Synchrony effects in inhibitory control over thought and action. J Exp Psychol Hum Percept Perform. 1998;24(2):363–79.][May CP, Hasher L, Stoltzfus ER. Optimal time of day and the magnitude of age differences in memory. PSYCHOLOGICAL SCIENCE. 1993; 4(5):326–30.] Sogar grundlegenede Sprachprozesse werden vom Chronotypen beeinflusst.[Rosenberg, Jessica et al. “Chronotype Modulates Language Processing-Related Cerebral Activity during Functional MRI (fMRI).” Ed. Sonia Brucki. PLoS ONE 10.9 (2015): e0137197.]
Ein weitere Einflussfaktor ist der natürliche Tag-Nacht-Rythmus. Der Schlafrythmus gleicht sich den einzelnen Jahreszeiten bzw. Tag-/Nachtzeiten an. Je früher es hell wird und je länger es hell bleibt, desto früher steht der Mensch auf und bleibt länger wach. Unsere Innere Uhr passt sich der natürlichen Uhr an. [Kenneth P.WrightJr., Andrew W.McHill, Brian R.Birks. Entrainment of the Human Circadian Clock to the Natural Light-Dark Cycle. Current Biology. Vol. 23, Issue 16 (2013).]
Verteilung der Chronotypen in der Bevölkerung
Natürlich unterscheidet man nicht nur zwischen Früh- und Spätaufsteher. Die Spanne reicht von extremer Frühtyp über Normaltyp bis zum extremen Spättyp. In der folgenden Grafik siehst du die natürlichen Schlafzeiten der deutschen Bevölkerung unterteilt in die Chronotypen:
Es fällt auf, dass zwar die Mehrheit in der Zeit zwischen Mitternacht und 9 Uhr schläft. Der normale Tag während Schule, Uni und Arbeit beginnt allerdings deutlich früher. Er passt vorallem auf den Rythmus des moderaten Frühtyps. Da wundert es kaum, dass über 80% der Bevölkerung an Arbeitstagen unter Schlafmangel leiden. [LMU, INSTITUT FÜR MEDIZINISCHE PSYCHOLOGIE, Zentrum für Chronobiologie]
Selbsttest: Welcher Chronotyp bin ich?
Um seinen eigenen Chronotypen rauszufinden, gibt es einen sehr guten Test vom CET (Center for Environmental Therapeutics). Dieser umfasst 19 Fragen auf die es mehrere Antwortmöglichkeiten gibt. Jede Antwortmöglichkeit gibt eine unterschiedliche Punktzahl. Zählt man die Punkte am Ende zusammen, erhält man seinen Chronotpyen. Diesen Test kannst du entweder als PDF-Version oder direkt als Onlinetest durchführen.
Social Jetlag - Risiken der einzelnen Chronotypen
Vor der Zeit der Industrialisierung und Elektrizität, als man noch primär auf dem Feld oder draußen gearbeitet hat, haben wir nach der Sonnenuhr und nach unserer inneren Uhr gelebt. Die innere Uhr lief weitgehend synchron zur Sonnenuhr. Der Körper hat viel Licht (zwischen 10.000 und 100.000 Lux) abbekommen.
Dann kam eine weitere Uhr dazu, die Soziale Uhr. Diese bestimmt heute unser aller Leben: Der Wecker klingelt um 6:00 Uhr - unabhängig davon ob es draußen hell oder dunkel ist. Das Leben spielt sich in Räumen ohne Sonne ab - der Körper bekommt nur mehr 500 Lux. Dadurch verschiebt sich unsere innere Uhr immer weiter nach hinten - wir werden immer müder. Diese Übermüdung wird Social Jetlag genannt.
Folgen von Social Jetlag
Besonders die Gruppe der Spättypen leidet an Social Jetlag. Sie stehen früh auf, bleiben aber länger wach. Der Schlafdefizit wird am Wochenende nachgeholt - meist ein Leben lang. Dass das für den Körper nicht gut sein kann, liegt auf der Hand. Ein paar Folgen:
Erhöhter Alkoholkonsum
Höhere Raucherquote [Wittmann M., Paulus M., Roenneberg T. Decreased psychological well-being in late 'chronotypes' is mediated by smoking and alcohol consumption. Substance Use & Misuse, Vol 45, Issue 10. 2010]
Übergewicht [Till Roenneberg, Karla V. Allebrandt, Martha Merrow, Céline Vetter. Social Jetlag and Obesity. Current Biology, Vol 22, Issue 10. 2002.]
Schlafapnoe
Erhöhter Stress & Depression [Lucassen, Eliane A. et al. “Evening Chronotype Is Associated with Changes in Eating Behavior, More Sleep Apnea, and Increased Stress Hormones in Short Sleeping Obese Individuals.” Ed. Namni Goel. PLoS ONE 8.3 (2013): e56519.]
Symptome als Folgen von Nährstoffmangel (Konzentrationsprobleme, Bluthochdruck Gelenkbeschwerden)
Die Folgen sind nicht außer Acht zu lassen, da immer mehr Menschen darunter leiden.
Videoexkurs: Was man über seinen Schlaf wissen sollte
Prof. Dr. Till Roenneberg von der LMU München zählt zu den führenden Forschern in Bezug auf den Chronotypen. Im folgenden Video zeigt er etwas verpeilt, aber unterhaltsam und anschaulich, wie negativ der Einfluss der Sozialen Uhr auf unseren Schlafrythmus ist. Sehr sehenswert:
Arbeiten unter Berücksichtigung des Chronotyps
Spricht man mit Personen in Führungspositionen oder allgemein beruflich erfolgreichen Menschen, hört man von fast allen, dass sie versuchen so wenig wie möglich zu schlafen. Schlafenszeit ist ja quasi verlorene Zeit.
Schuld sind die Chefs
Die Gesellschaft richtet sich nach diesen Menschen, da sie festlegen, wann man zur Arbeit zu kommen hat. Dass nach diesem Rythmus fast niemand in natürlicher Weise leben kann, kommt erst langsam in das Bewusstsein.
Idealerweise: Jeder wie er will!
In einer idealen Arbeitswelt dürfte es keine Wecker mehr geben. Die Arbeitszeit pro Tag sollte auf eine Arbeitszeit pro Woche oder sogar Monat umgestellt werden. Jeder Mitarbeiter sollte zu der Uhrzeit in die Arbeit kommen und wieder gehen dürfen, wie es nach seiner inneren Uhr richtig ist. Zum Beispiel sollte die 40h Woche jeder selbst auf beliebig viele Tage verteilen dürfen und nicht um 8 Uhr beginnen müssen, sondern um 6 oder auch erst um 11 Uhr anfangen dürfen.
Gesundheitliche Folgen
Richtet man sein ganzes Leben nicht nach seinem Chronotypen aus und tendiert man eher Richtung eines extremen Chronotyps, können die Folgen für die Gesundheit enorm sein.
Spätaufsteher sind leichter anfällig für Suchtmittel
Wie im Kapitel über den Social Jetlag schon angedeutet, sind die Spätaufsteher häufiger Raucher, trinken eher Alkohol und mehr Koffein. Das hängt damit zusammen, dass Nikotin und Koffein eher stimmungsanregend und wachmachend sind und die Müdigkeit damit zumindest kurzfristig reduziert wird. Der erhöhte Alkoholkonsum ist dadurch bedingt, dass er beruhigt und entspannt. Genau das, was der Spätaufsteher braucht, um wieder "herunterzukommen".
Spätaufsteher, Schlaflosigkeit und Depression
Die Unvereinbarkeit der Chronotypen mit ihren Arbeitszeiten spiegelt sich in der Schlafqualität wieder. Unterscheidet sich der Schlafrythmus zu sehr von dem, den die innere Uhr vorgibt, sind Schlafstörungen die Folge. Diese Schlafstörungen können zu ernstzunehmenden Depressionen und anderen psychischen Krankheiten führen. Die Schlafenszeiten einfach nach der inneren Uhr zu richten, kann schon ausreichen um seine Schlafprobleme zu beseitigen. [Bei, Bei et al. “Chronotype and Improved Sleep Efficiency Independently Predict Depressive Symptom Reduction after Group Cognitive Behavioral Therapy for Insomnia.” Journal of Clinical Sleep Medicine : JCSM : Official Publication of the American Academy of Sleep Medicine 11.9 (2015): 1021–1027.][Sheaves, Bryony et al. “Insomnia, Nightmares, and Chronotype as Markers of Risk for Severe Mental Illness: Results from a Student Population.” Sleep 39.1 (2016): 173–181.]
Spätaufsteher sterben früher
Die vielen Laster, ernsten psychischen und physischen Krankheiten unter denen die Spätaufsteher stärker leiden als Frühaufsteher, führen unweigerlich zu einem Schluss: sie sterben früher. Wie viel früher, hat eine Studie mit fast 500.000 Engländern gezeigt:
Um 6,5 Jahre verkürzt unser gesellschaftlicher Tagesrythmus das Leben von Spätaufstehern. Jetzt stehen Politik, Gesellschaft, Firmen und Bildungseinrichtungen in der Verantwortung eine nachhaltige Lösung für dieses Problem zu finden. [Kristen L. Knutson, Malcolm von Schantz. Associations between chronotype, morbidity and mortality in the UK Biobank cohort. Chronobiology International. 2018.]
Selbstversuch - Leben nach der inneren Uhr
Ich möchte dir empfehlen, einfach mal für mindestens 2 Wochen nach deiner inneren Uhr zu leben. Der Versuch lohnt sich auf jeden Fall.
Schlafen, wenn du müde bist - Aufstehen, wenn du aufwachst
Nehme dir vor, jeden Tag dann ins Bett zu gehen, sobald du müde wirst. Stelle dir keinen Wecker. Stehe auf, sobald du ohne Fremdeinwirkung aufwachst. Nach 4-5 Tagen solltest du in deinen natürlichen Rythmus fallen. Daher solltest du mindestens 14 Tage nach deinem Rythmus schlafen. Beobachte dich und stelle dir diese Fragen:
Bin ich fitter?
Bin ich glücklicher?
Fühle ich mich generell besser?
Bin ich konzentrierter?
Schaffe ich mehr in der Arbeit/Studium?
Trinke ich weniger Alkohol?
Rauche ich weniger / gar nicht mehr?
Schlafe ich besser?
Falls dein natürlich Rythmus überhaupt nicht mit deinen Arbeitszeiten vereinbar ist, versuche das in deinem nächsten Urlaub.
Widerstehe dem sozialen Druck
Je "unnormaler" deine innere Uhr ist, umso schwieiriger ist das Leben danach. Bist du ein enormer Frühaufsteher, der um 5 Uhr aufwacht und schon um 21 Uhr ins Bett geht, wirst du schnell als Langweiler abgestempelt - das Nacht- und Partyleben beginnt ja normalerweise erst ab 22 Uhr. Das zu Bett gehen kann man steuern, das Aufwachen leider nicht.
Was bringt es, wenn du immer um 5 Uhr aufwachst, aber erst um Mitternacht ins Bett gehst und stehts übermüdet bist?
Exkurs: Der richtige Schlafrythmus im Studium
Im Studium gibt es viele Studenten, die bis spät in die Nacht hinein lernen, und erst am späten Vormittag aufstehen. Der Körper und Geist passen sich folglich an diesen Rythmus an. Da die Klausuren bereits zwischen 8 und 9 Uhr anfangen, muss der Geist zu einer ungewohnten Zeit plötzlich Hochleistung bringen. Das funktioniert nicht!
Der Kopf sollte zu der Zeit trainiert werden, zu der er auch geprüft wird.
Seinen Chronotypen ändern
Man kann seine innere Uhr bis zu einem gewissen Maße selbst steuern und so seinen Chronotypen verändern.
Leben nach der Sonne
Das Hauptproblem für unseren asynchronen Rythmus ist das geringe Licht, das wir im Büro, in der Uni oder zu Hause abbekommen. Bauern haben in der Regel kein Problem damit früh aufzustehen, da sie den ganzen Tag draußen verbringen und genügend Licht abbekommen:
Licht im Bürotag: 500 Lux [Pears, Alan. "Chapter 7: Appliance technologies and scope for emission reduction". Strategic Study of Household Energy and Greenhouse Issues. S. 61. 1998]
Licht draußen: 100.000 Lux [P.K. Seidelmann: Explanatory Supplement to the Astronomical Almanac. University Science Books, Mill Valley. S. 493. 1992]
Der Mensch ist naturbedingt eher tagaktiv. Daher wird er wach und fühlt sich wach, sobald genügend Licht da ist. Er wird wieder müde, wenn weniger Licht da ist. Aus diesem Grund schläft der Mensch im Winter mehr als im Sommer. [Anderson JL, Rosen LN, Mendelson WB, et al. Sleep in fall/winter seasonal affective disorder: effects of light and changing seasons. J Psychosom Res. 38(4):323-37. 1994.][Borisenkov MF, Petrova NB, Timonin VD, et al. Sleep characteristics, chronotype and winter depression in 10-20-year-olds in northern European Russia. J Sleep Res. 24(3):288-95. 2015.]
Innere Uhr beim Camping synchronisieren
Bei einem Versuch haben Wissenschaftler Leute unterschiedlicher Chronotypen zum Camping in der Wildnis geschickt. Es waren keine elektronischen Geräte und keine anderen Lichtquellen als Sonne & Mond erlaubt.
Das Ergebnis: Innerhalb einer Woche hatten alle Teilnehmer den selben Rythmus. Das natürliche Licht mit dem sehr hohen Lux-Anteil verschiebt den Tagesrythmus von Spättypen nach vorne. Künstliche Licht schiebt den Rythmus nach hinten. [Kenneth P.Wright, Jr.Andrew W.McHill, Brian R.Birks, et. al. Entrainment of the Human Circadian Clock to the Natural Light-Dark Cycle. Current Biology. Vol. 23, Issue 16. 2013.]
Einschränkungen
Die innere Uhr lässt sich gut mit dem natürlichen Sonnenrhythmus in Einklang bringen. Allerdings schränken der genetisch bedingte individuelle Schlafbedarf (manchen langen 6h Schlaf, andere brauchen 10h Schlaf), der ebenfalls genetisch bedingte Chronotyp und soziale Verpflichtungen eine Veränderung seines Chronotypen ein.
Fazit Chronotyp
Der eigene Schlaftyp und die innere Uhr bestimmen und beeinflussen deutlich stärker unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit, als viele sich vorstellen können. Auch die Politik und die Arbeitswelt ist steht erst am Anfang auf Lösungen für die stark unterschiedlichen Bedürfnisse zu finden.
Wir hoffen, dass du mit Hilfe unseres kleinen Artikels dein Lebensgefühl verbessern kannst!
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